[ TEXTE ZUR KUNST ]

Dr. Alexander Berens: Wolfgang Ruske - mediTERRAneo
Wolfgang Ruske: Alles Theater? KULT-UR ist alles was ist!
Wolfgang Ruske: Über das Gesicht
Wolfgang Ruske: Die Farbe Blau
Wolfgang Ruske: Die Farbe Grün - Psychologie, Mythologie und Symbolik
Wolfgang Ruske: Transzendenz


Dr. Alexander Berens©: Wolfgang Ruske - mediTERRAneo

Beethoven schrieb einmal in einem Brief: „Die Kunst! Wer versteht die? – Mit wem kann man sich bereden über diese große Göttin?“ Was aber wäre besser geeignet als eine Kunstausstellung, um über Kunst zu reden. Die Frage, was sie ist oder was sie ausmacht, bietet sich geradezu an. Mit einer Ausstellung wird ein einzigartiges Forum geschaffen, einerseits für den Künstler, als Plattform für seine Werke, andererseits für den Betrachter, der sich mit Muße den Exponaten nähern und sich mit ihnen auseinandersetzen kann. Letztendlich bleibt aber die Frage, was Kunst sei, subjektiv. Was Kunst für den Einen ist, muss sie nicht für den Anderen sein. Dennoch erhebt Kunst den Anspruch, eine Aussage zu treffen. Ein Bild ist nicht nur ein Bild, eine Fotografie nicht nur eine Fotografie. Hinter dem, was wir sehen, verbirgt sich eine Botschaft, die der Künstler zu vermitteln versucht. Hier verborgen, dort offensichtlich nutzt er seine Fertigkeit, um etwas zu übertragen. Licht und Schatten, Farbe und Komposition sind dabei Mittel zum Zweck. Werke können vor dem geistigen Auge entstehen, sind in Gedanken vollendet und bedürfen nur noch der Umsetzung, ein anderes Mal ergeben sie sich erst während der Schöpfungsphase, wobei sie dann einem steten Fluss der Veränderung unterliegen. Der Künstler ist ein Schöpfer und seine Werke, ob nun in Worten, Tönen oder Bildern, sind ein Sprachrohr, mit dem er seine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen, seine Passion und schließlich seine Seele ausdrückt und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Gleiches gilt auch für die Bilder, Objekte und Installationen von Wolfgang Ruske. Sie zeugen von den Erfahrungswerten einer langen Laufbahn als Künstler, Publizist, aber auch von den Erfahrungen als Mensch. Die Erlebnisse mit Mitmenschen, die Beziehung zur Natur und der Umwelt fanden ebenso Eingang in seine künstlerische Tätigkeit wie gesellschaftskritische Themen und seine Vorliebe für mythologische Elemente. Mit manchen seiner Werke, so einigen Bildern dieser Ausstellung, versucht er die Polarität dieser Welt zu verdeutlichen. Polarität heißt eine Abhängigkeit von Prinzipien, die sich gegenseitig bedingen. Wo Helligkeit ist, ist auch Dunkelheit, wo Wärme existiert, da auch Kälte. Wir wüssten nicht, was weiß ist, wenn wir das Schwarz nicht kennen würden. Vor dem Hintergrund dieser polar gebundenen Beziehung treten dem Betrachter bei Wolfgang Ruske kraftvolle Farben entgegen, die auf den ersten Blick eine harmonische Eintracht widerspiegeln. Der Harmonie entgegengesetzt wirken dabei aber die kraftvollen Schatten, die sich in Form von Neid, Gier und Missgunst manifestieren. Andere Bilder zielen auf den Alltag. Der Künstler möchte hier unseren Blick auf das Wesentliche in Natur und Umgebung lenken, indem Details, zum Beispiel einer Blüte, in das Überdimensionale vergrößert werden. Verbunden ist hier die Mahnung, sich in einer so schnelllebigen Zeit wie der unseren einen Augenblick zu nehmen für die wunderbare Vielfalt der Schöpfung. Einmal stehen zu bleiben, zu atmen und die Dinge zu betrachten, die wir in unserer Hektik und Eile übersehen würden. Die Ausstellung mediTERRAneo ist einerseits ein Tribut an die große Kultur und die lange Geschichte der Länder rund um das Mittelmeer, eine Hommage an die Gastgeber und damit eine Verbeugung vor dem Flair des Südens und der Leichtigkeit des Seins seiner Bewohner. mediTERRAneo – „in die Mitte der neuen Erde“ – ist andererseits aber auch ein Wortspiel, das auf den Versuch von Wolfgang Ruske hindeutet, den wahren Gehalt, die Quintessenz einer Landschaft, eines Gebäudes, einer Pflanze oder der Mythologie zu erfassen und durch Ausschnitt oder Vergrößerung dem Betrachter sichtbar zu machen. mediTERRAneo ist aber noch mehr. Es ist der Hinweis des Künstlers auf „die Mitte der neuen Erde“ in uns selbst, auf das „Erkenne dich selbst“, das auf der Schwelle des zentralen Heiligtums des Apollon im antiken Griechenland, dem Orakel von Delphi, eingraviert und von Säulen flankiert den Besucher empfing. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Säulen, die Wolfgang Ruske am Eingang zu dieser Ausstellung aufgestellt hat, nicht zufällig oder als Dekoration. Wolfgang Ruske ist bestrebt, mit seinen Werken das Unbewusste im Menschen anzusprechen und so eine neue Form der Wahrnehmung zu schaffen, was ihm durch die Farbgestaltung seiner Bilder und den reichen Symbolgehalt auch gelingt.

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Wolfgang Ruske©: Alles Theater? KULT-UR ist alles was ist!

Was Kultur sei? „Wenn auf¹m Klo feuchtes Toilettenpapier is!", antwortete eine 14-jährige Hauptschülerin auf diese Frage. Auch wenn die Antwort erst einmal schockieren mag, so ganz unrecht hat das Mädel nicht. Denn auf der Weltkonferenz zur Kulturpolitik 1982 in Mexiko wurde die „Kultur" amtlich neu definiert. Seitdem ist sie nicht mehr nur der Oberbegriff für die vielfältigen Kunstrichtungen (Musik, Schauspiel, Architektur, Literatur, Bildende Kunst, Fotografie, neue Medien etc.), sondern bezieht die Lebensweisen der Menschen mit ein. Der erweiterte Kulturbegriff entspricht nicht nur der Vielfalt der Ethnien (die sich überall mischen), sondern auch der Ursprungsbedeutung des Wortes, das im Lateinischen mit „Land- und Gartenbau, Körper- und Geistespflege, künstlerische und geistige Lebensäußerungen" all das umfasst, was das Leben ausmacht, einschließlich der religiösen Kulte. Gehen wir in der Menschheitsentwicklung noch weiter zurück, so sind magisch-symbolische Formen der Aneignung von Natur und Kosmos und mythische Übertragungen archetypischer Bilder Ausdruck von „Kult-Ur". Joseph Beuys hat mit seinem (umstrittenen und missverstandenen) Ausspruch, jeder Mensch sei ein Künstler, genau dies gemeint. Beuys wollte - und das hat er bei denen erreicht, die mit ihm sprachen - den Menschen Mut machen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ihre Fähigkeiten zu erproben: „Ich will nur den Menschen anregen, nicht zu warten auf einen idealen Bewusstseinszustand. Sie müssen mit den jetzigen Mitteln beginnen - mit ihren Fehlern beginnen." Wer sich kreativ äußert, ist auf dem Weg, sich selbst zu entdecken. Welch Frust, welch Freude! Aber immer in (geistiger und körperlicher) Bewegung, und das ist „Not-wendig"!

All das, was nun unter dem erweiterten Kulturbegriff zu verstehen ist, finden wir konzentriert in den heutigen Kunstdisziplinen, ob in der Literatur, im Theater oder in der Bildenden Kunst. Die Abkehr von Inhalten, Idealen und Werten, die Abkehr von Harmonie und Schönheit folgt dem Bild einer realen (beziehungsweise medial-virtuellen) Welt. Der Tabu-Bruch in zwischenmenschlichen Beziehungen findet seinen Niederschlag im Werk. „So manche zeitnahe Kunst ist ohne ironische Brechungen gar nicht konsumierbar", sagt der Künstler Heinz Mack. Künstlerisch zu arbeiten bedeutet zweifelsohne Aneignung von Welt. In der magischen und mystischen Prähistorie dienten die menschlichen Ausdrucksformen dazu, die Erscheinungen der Mitwelt und der kosmischen Überwelt fassbar zu machen. Die Darstellung von symbolhaften Abbildern zeigte den Versuch, die sichtbaren und unsichtbaren Kräfte des Daseins zu erkennen, zu ordnen und zu beherrschen. Eine Kunst der Magie sozusagen. Der kreative Akt wird zu einem spielerischen, wenn die so genannte Realität durch Symbole dargestellt wird. Durch das Fokussieren, durch den Ausschnitt aus der „Wirklichkeit" wird die tatsächliche Realität unwirklich; es entsteht eine Fälschung der Welt, ein subjektives Bild. Diese Fiktion von Welt konfrontiert mit Neuem. „Wie kommt das Neue in die Welt?" haben Heinrich von Pierer und Bolko von Oetinger gefragt (München 1997). Und man könnte analog antworten: „Durch Kunst natürlich!" So gesehen, muss die Kunst Stein des Anstoßes sein, ist die Provokation in der Kunst notwendig. Sie ist für den Betrachter notwendig, sie ist notwendig, um kreative Gedankenprozesse im Rezipienten auszulösen. Kunst ermöglicht die spielerische Annäherung an das Unmögliche, an das Unsagbare, eine Annäherung ohne die Bedrohung der Realität.

Welchen Sinn hat die Schaffung von Kunstwerken darüber hinaus? Diese Frage wird jeder Künstler, Kunstkritiker, Ästhetiker und Kunstkonsument anders, auf seine Weise und aus seiner Sicht beantworten. Hans und Sulamith Kreitler (Psychologie der Kunst, Stuttgart 1980) nennen als Motivation für Kunstschaffende „die Offenbarung der immanenten Wahrheit, die Konkretisierung des metaphysischen Jenseits, die Darstellung der nackten Wirklichkeit, die Schöpfung einer glücklichen Fantasiewelt, die Konfrontation mit den klaffenden Abgründen innerhalb des Individuums, das Wiederbeleben verlorener Zeiten und verdrängter Kindheit, die Förderung von Selbsterkenntnis." Der Philosoph Jean Gebser hat 1958 formuliert: „Kunst ist: das Unsichtbare sichtbar, das Unhörbare hörbar, das Unsagbare sagbar machen." Im echten künstlerischen Schaffen, im Kunstwerk wird also das zum Ausdruck kommen, was über der sogenannten Realität steht, der Mehrwert, der über sie hinausweist in die Gegenwelt der Transzendenz.

Der Künstler erfasst mit seiner individuellen Begabung das Motiv, das im Ich subjektiv erlebt und verarbeitet wird „durch eine Krise, eine Läuterung, eine Wiederherstellung", wie der Dichter und Maler Albert Steffen gesagt hat. „Wer den Weg der Geist-Erkenntnis geht, welcher ein allgemeiner und jedem Menschen zugänglicher ist, hat eine Fülle bisher unbekannter Erlebnisse, die sogleich nach dem originellen Künstler rufen." Dies ist Meditation, Meditation, verbunden mit dem Erlebnis der Erkenntnis. Meditieren bedeutet in Freiheit und ohne Verhaftetsein an Vorgaben einen Gedanken, ein Bild in den Mittelpunkt des Bewusstseins zu stellen, gleichsam aus dem Nichts neu zu erschaffen. Das führt zu neuen Sichtweisen, so, wie ein aus einem Nahtoderlebnis „Wiederbelebter" die Welt neu sieht, das Leben anders gestaltet und gestalten muss. Der Künstler, hat Romano Guardini 1947 in einem Vortrag an der Stuttgarter Akademie der Künste gesagt, habe schauend und gestaltend das Wesen des Gegenstandes zu reinerer Erscheinung zu bringen. „In der gleichen Erscheinung macht er auch das eigene Wesen und damit das Menschenwesen überhaupt offenbar. Und beides so, dass es nicht nur gleichzeitig, sondern eins im andern geschieht: im Blicken, Werten und Fühlen des erlebenden Menschen das Ding eine neue Sinnfülle gewinnt; am Ding hinwiederum der Mensch zum Bewusstsein und zur Entfaltung seiner selbst gelangt. Indem das aber geschieht, klingt am Werk das Ganze des Daseins an, und das zufällige Teilgebilde wird zum Symbol des Alls."

In diesem Kontext führt Kunst beim Künstler zur Selbsterkenntnis, kann zur Eigentherapie führen, ja „als Weg zur Einweihung" (Albert Steffen) aufgefasst werden. Einweihung nicht als mystifizierender Akt verstanden, sondern als ständige Schulung und Entwicklung schöpferischer Fähigkeiten, als immerwährendes künstlerisches Durchdringen des Lebens mit seelischen und geistigen Kräften. Bewusstwerdung durch Kunst. In diesem Sinne ist die Formulierung des Malerfürsten Markus Lüpertz: „Alles was wir über Gott wissen, wissen wir durch die Kunst" (2001) zu verstehen, nach einer Formel: Selbsterkenntnis gleich Welterkenntnis gleich Gotterkenntnis.

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Wolfgang Ruske©: Über das Gesicht


1964 / 1965 / 1969 / 1970

Das Gesicht und damit auch Bilder vom Gesicht üben eine unwiderstehliche Faszination aus. Das Gesicht gibt Kunde und fordert zum Erkunden heraus. Eine Annäherung kann physiologisch, psychologisch, anthropologisch, medizinisch, philosophisch, aber auch künstlerisch erfolgen. So wie wir wissen, dass kein Gesicht mit einem zweiten identisch ist, wissen wir auch, dass wir ein Gesicht mit einem Menschen identifizieren können. Aber: Auch das Wissen um die geistige Verbundenheit aller Menschen ist vorhanden. „Wir sind die anderen, die anderen das sind wir“, singt Inga Humpe von der Band „2raumwohnung“.
Man könnte sagen, wir zeigen das Gesicht für unser Gegenüber. Ernst, fröhlich, streng, heiter, traurig, besinnlich, nachdenklich… Das Antlitz ist ein Resonanzkörper, der Ort einer „interfazialen Sphärenöffnung“, sagt Sloterdijk. Sehen und Gesehenwerden auf einer höheren Ebene. Im Mittelhochdeutschen bedeutet „gesiht“ das Sehen und Anblicken; Anblick; Gesehenes; Erscheinung; Vision; Aussehen; Gestalt; Antlitz. Vor Jahrhunderten hat man Blinde als Menschen bezeichnet, denen das Gesicht geraubt wurde. Das heißt, Gesicht und Auge, Gesicht und Sehen bilden eine Einheit – Anblick und Angeblicktwerden. Ohne Gegenüber kein Gesicht. Macho sagt, Gesichter seien individuelle und soziale Kraftfelder der Anerkennung. Sie vermögen nicht nur mit ihrer Aura der Einzigartigkeit, so fern ihre Nähe sein mag, den Blick aufzuschlagen, sie vermögen auch, ihn zu schließen. Ansehen ist aktiv und passiv zugleich, wenn man die Doppeldeutigkeit des Wortsinns verinnerlicht: Aussehen, Ansehen, Selbstwertgefühl und Geltung vereinigen sich im Ausdruck des Gesichts. Wir müssen mit unseren Gesichtern leben, wir müssen unsere Gesichter leben, für die wir verantwortlich zeichnen. Das ästhetische Gesichtsdesign so genannter Schönheitsoperationen verfälscht Person und Persönlichkeit; es macht Menschen zu Masken. Masken versuchen Menschen aber auch aufzusetzen, wie wir im „richtigen Leben“ ständig erfahren müssen. Rainer Maria Rilkes Protagonist im Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ sagt, da gebe es diejenigen, die mehrere Gesichter haben und die, die unheimlich schnell ihre Gesichter aufsetzen, aber auch eins nach dem anderen abtragen, ja ihre Gesichter nicht schonen, sie verbrauchen und dann mit einem Nichtgesicht umhergehen. Sozusagen ihr Gesicht verlieren, wie es im Volksmund heißt.
Das Gesicht ist Mittler zwischen Innen und Außen, zwischen Wahrhaftigkeit und Schein, ist Hinweis auf Unsichtbares hinter der sinnlichen Erscheinung. Das Gesicht gehört daher „in eine Metaphysik des Unverfügbaren“, sagt Dieter Fuder. Gesichter sind immer auch Bilder, die wir uns von ihnen machen, innere und äußere Bilder. Sind Zeichen und Symbole innerer und verinnerlichter Ideen. Wenn wir die Fotodokumentation „Bilder der Macht“ ansehen, zeigt sich der Wandel der Machtfülle in den Physiognomien der Politiker. So gesehen, sind wir wirklich die Schöpfer unseres Gesichts.

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Wolfgang Ruske©: Die Farbe Blau

Als Blau bezeichnet man die wahrgenommene Farbe von Licht, das eine Wellenlänge zwischen 450 und 500 Nanometer hat. Das Blau, das man sieht, existiert nicht in der Außenwelt, sondern im Bewusstsein des Betrachters. Der Farbeindruck Blau kann aber auch durch Farbmischung entstehen. Das Wort Blau stammt vom althochdeutschen blao für schimmernd, glänzend.
Nach neuen Untersuchungen der Psychologin und Soziologin Dr. Eva Heller ist mit 45 % aller Nennungen Blau die absolute Lieblingsfarbe der Deutschen. Mit Blau werden folgende Gefühle und Wirkungen assoziiert: Die ferne, die Kühle, die Passivität, die Erholung, das Vertrauen, die Selbständigkeit, die Klugheit, die Wissenschaft, die Sportlichkeit. Darüber hinaus verbindet man in Kombination mit dieser Farbe Sympathie, Freundschaft, Harmonie, Phantasie, Sehnsucht, Treue, Männlichkeit, Großartigkeit und Introvertiertheit. Eva Heller hat 111 Blautöne aufgelistet.
Wie wir gesehen haben, werden der Farbe Blau vor allem männliche Attribute zugeordnet. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Blau eine weibliche Symbolfarbe ist. Während in der christlichen Symbolik die Farbe Blau diejenige der Gottesmutter Maria ist, kann man sie der mythologischen Weltenmutter Maria Sophia als Sinnbild der Weisheit zuordnen. Aber Blau ist nicht nur die Farbe der Menschen, die die Rücksicherung im Göttlichen suchen, des homo religiosus, sie ist auch die Farbe der Götter selbst. Blau sind die Bärte der ägyptischen Götter, Blau ist die Farbe Gott Amons, Blau ist die Hautfarbe der indischen Gottheit Krishna und die Mantelfarbe Wotans. In China steht Blau für die Unsterblichkeit, wir kennen den berühmten blauen Tempel in Peking und die Blaue Moschee in Istanbul. Blau ist auch die Farbe des Judentums.
Chagall hat gesagt, „eine blaue Seele“ sei über seine Bilder hereingebrochen. Das Auge ruht sich im Blau aus, weil es in dieser Farbe kaum gereizt wird. Nach Goethe, der ja bekanntlich eine umfangreiche Farbenlehre aufgestellt hat, ist Blau ein „reizendes Nichts“. Goethe erkannte mit seiner Aussage, dass Farbe „Taten und Leiden des Lichts“ sind, intuitiv die Zweidimensionalität des Photons als Teilchen (Quant) und Welle (Schwingung), wie sie die Quantenphysik später formuliert hat. Und er erkannte vielleicht auch die Ambivalenz, die Polarität des Blau als Farbe des Unbewussten und der Realität; die Farbe der Spiritualität und des Wirkens, Schaffens. Blau symbolisiert einerseits die Königswürde, Blau ist aber auch die Farbe der Arbeit (Indigo als Farbe der Arbeitskleidung der Handwerker, „Blaumann“, Jeans, Uniformen – „Preußischblau“).
Sich in das Blau zu versenken heißt, sich mit dem Geheimnisvollen, nie Ausschöpfbaren innerlich zu verbinden. Blau ist das Licht des Nirvanas, der Entgrenzung, der Quintessenz auf einer höheren Stufe. In der Götterwelt des Himalaya symbolisiert Blau die Oberwelt, den Himmel.
Blau ist den Sternen gleich – eine Ewigkeitsfarbe. Die Bauleute der gotischen Kathedrale von Chartres haben es in den blauen Glasfenstern ausgedrückt. Weil die Kuppel den Himmel symbolisiert, wurde sie in vielen Kirchen blau ausgemalt. Die Farbe des Himmels und der Meere führt zum inneren Frieden, führt zu uns selbst. Wer eine menschliche Aura sehen kann, wird Dunkelblau bei einem spirituell ausgerichteten Menschen erkennen können, Hellblau bei einem, der nach einem hohen Ideal strebt.
Blau ist die Farbe des späten Mittelalters. In dieser Zeit war es üblich, in die geomantische Mitte der Städte einen blauen Stein zu setzen, sozusagen als Omphalos, als Nabel, als Mittelpunkt. Diese Steine sind noch heute in Delft oder London zu sehen. In unserer Zeit sprühen Geomanten blaue Farbe auf bestimmte Erdzonen, um ihre Energieflüsse zu verändern. Türen und Fenster wurden seit alters her blau gestrichen, weil die Farbe böse Geister abwehren und gute ins Haus lassen sollte; sie galt als Farbe beschützender Kräfte.
Im europäisch-nordamerikanischen Kulturkreis ist eine Ehrung mit einem Blauen Band eine beliebte Auszeichnung. Erstmals für 1346 historisch belegt ist dies für das blaue Band des Hosenbandordens. Nach Meyers Konversationslexikon von 1888 wurde auch der dänische Elefantenorden von 1458, der an einem blauen Band getragen wurde, als "das blaue Band“ bekannt. Wettfreudige englische Reeder spendierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Kapitän, der sein Segelschiff am schnellstem von London nach Australien bringen konnte, einen blauen Wimpel. Vorbild für diese Auszeichnung war das Pferderennen in Derby, bei dem damals dem siegreichen Pferd eine blaue Schleife angesteckt wurde. Die bekannteste Ehrung mit einem Blauen Band erfolgte jedoch für die schnellste Atlantik-Überquerung.
Nach dem Internationalen Freimaurerlexikon sind die Farben der Freimaurer den großen Ritterorden entlehnt: Seit 1745 ist Hellblau, Azur- oder Cyanblau die Farbe der so genannten Johannismaurerei, abgeleitet vom erwähnten Hosenbandorden. Auch das Wappen der englischen Bauhüttenbruderschaft hatte einen blauen Grund. „Dem Freimaurer ist die blaue Farbe die heiligste…“ schrieb der Symbolforscher und Philosoph August Horneffer 1924 in seinem Buch „Symbolik der Mysterienbünde“. Horneffer weiter: „Warum haben die Freimaurer die blaue Farbe gewählt? Historisch lässt sich wenig Sicheres darüber ermitteln; zur psychologischen Begründung könnte man an den ausgesprochenen Zweck der Freimaurerei: die Leidenschaften zu mäßigen und beruhigend und ausgleichend zu wirken, erinnern.“

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Wolfgang Ruske©: Grün - Psychologie, Mythologie und Symbolik

„Grün zu sein ist nicht leicht“ singt Kermit, der Frosch aus der Sesamstraße, in einem Lied über sich selbst.

Ist Grün Ihre Lieblingsfarbe? Was verbinden Sie mit „Grün“? Eine Wiese? Hoffnung? Die Soziologin und Psychologin Dr. Eva Heller hat die Beziehungen der Menschen zu Farben erforscht und festgestellt, dass 16 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen Grün als ihre Lieblingsfarbe bezeichnen. Damit steht diese Farbe immerhin – wer hätte das gedacht! – an zweiter Stelle hinter Blau mit 45 Prozent der Nennungen. Und Rot folgt erst mit 12 Prozent. Je älter (vor allem die Männer) werden, desto beliebter wird bei ihnen Grün; bei den über 50jährigen nimmt es bereits einen Stellenwert von 20 Prozent ein, obwohl in China die Farbe Grün dem weiblichen Yin, dem passiven, empfangenden Prinzip, zugeordnet ist.

Und was verbinden die Deutschen mit dieser Farbe? Auch das hat Heller ermittelt. In erster Linie – natürlich! – die Natur und Natürliches. 47 Prozent aller Befragten sagen das. Das verwundert nicht; grün ist nun mal fast alles, was wächst. Der Farbstoff Chlorophyll ist Grundlage der Photosynthese und damit Grundlage vegetativer Lebensfunktionen. Aber Chlorophyll ist nicht beständig, und so konnte es vor dem Zeitalter der Chemie nicht als Farbstoff verwendet werden. Dafür kamen nur seltene und teure Mineralien wie Apatit, Amazonit, Malachit und Jadeit infrage. Die Bezeichnung „grün“ für die vielen Begriffe, die sich mit der Natur verbinden lassen (z.B. „ins Grüne fahren“) wird noch übertrumpft durch die „grüne“ Denkweise und Lebenshaltung, die Farbe der Umweltschützer, der Partei und der von ihr geforderten Politik.

Natur pur

Die Farbe der Natur ist eng verknüpft mit der Farbe des Lebens und der Gesundheit. Rund 40 Prozent der Menschen verbinden Grün mit diesen Begriffen. Keimen und Wachsen - das Leben der Pflanzen, das Leben schlechthin wird mit dieser Farbe assoziiert. Überall: der Brite, der sich gut fühlt, ist „in the green“. Und Grün ist selbstverständlich auch die Farbe des Frühlings und der Fruchtbarkeit (62 Prozent der Aussagen) sowie der Frische (27 Prozent verbinden Grün mit ihr). Das passt alles zusammen. Grünzeug ist einfach gesund. Die Wurzel des Wortes „grün" liegt in dem germanischen Wortstamm „ghro", was soviel wie „grünen“ „wachsen" und „gedeihen" bedeutet. Die Verwandtschaft des englischen Wortes „grow" mit „green" ist deutlich.

Es existieren keine vorgeschichtlichen Höhlenmalereien mit Darstellungen von Pflanzen, obwohl grüne Erden zur Verfügung standen. Die Bedeutung von Grün als Symbol für Fruchtbarkeit hänge direkt mit der Entwicklung des Ackerbaus zusammen, behaupten israelische Wissenschaftler. Bereits in der Mittleren Steinzeit wurden Perlen aus verschiedenen Materialien als Schmuck verwendet, aber erst später wurden auch grüne Perlen angefertigt, argumentieren die Forscher von der Universität Haifa. Damit liege der Schluss nahe, dass die symbolische Bedeutung der Farbe Grün für Fruchtbarkeit erst entstand, als in der Jungsteinzeit die Jäger und Sammler sesshafte Ackerbauern wurden. Als sich der Ackerbau in der Jungsteinzeit im Nahen Osten ausbreitete, hatte dies Konsequenzen für alle Lebensbereiche des Menschen. Er war gezwungen, sich für die Jahreszeiten und zeitlich bedingten Wetterlagen zu interessieren, Naturkreisläufe zu studieren, die Gestirne zu beobachten und Kalenderbauten zu entwickeln, um Wachstumsfolgen und Fruchtbarkeitszyklen von Pflanzen und Tieren zu ermitteln. Aufgrund dieser neuen Herausforderungen begannen die Steinzeitmenschen, grüne Steinperlen für Amulette und Glücksbringer zu verwenden, sagen die Forscher. Dabei versinnbildlicht die Farbe Grün das Ergrünen junger Blätter und symbolisiert den Wunsch nach einer erfolgreichen Ernte. Perlenketten und Amulette haben eine Vielzahl an Bedeutungen. Sie sollen Unglück und Gefahr abwenden, vor bösen Geistern schützen oder einfach Glück und Stärke bringen. Durch die Belegung der Farbe Grün als Symbol des Lebens entstand vermutlich auch die bis heute verbreitete Verwendung von grünen Talismanen als Schutz vor dem Bösen Blick.

Eine christliche Farbe

Im kulinarischen Bereich erfreut sich die „Grüne Soße“ großer Beliebtheit, vor allem in Hessischen Landen. Die Frankfurter Grüne Soße beispielsweise hat ihren eigenen „Verein zum Schutz der Frankfurter Grünen Soße", der bei der Europäischen Union sogar einen Schutzanspruch der Ursprungsbezeichnung angemeldet hat. Die kalte Soße muss mindestens sieben Kräuter enthalten und passt gut zu gekochtem Fisch und Fleisch, kaltem Braten und Pell- oder Salzkartoffeln. Sie war ein Leibgericht Goethes. 

Grüne Soße mit Pellkartoffeln ist ein traditionelles Gründonnerstagsgericht. Die Farbe Grün steht im christlich-religiösen Sinn für Erneuerung und die Befreiung von Sünden. Am Gründonnerstag, dem ursprünglich letzten Tag der Buß- und Fastenzeit, ist der Gläubige wieder grün geworden – er hat gebüßt und ist nun von seinen Sünden befreit. Die Bedeutung der Farbe als Hoffnungsträger und als Symbol der Erneuerung ist bis heute im Christentum erhalten geblieben. Die Fastenzeit endet mit dem Gründonnerstag, die Karwoche beginnt mit dem Grünen Sonntag (dem Palmsonntag). Grün ist auch die Farbe der gewöhnlichen Sonntage. Die Altäre der katholischen Kirchen sind an diesen Tagen mit einer grünen Decke geschmückt. In der christlichen Religion ist Grün die Farbe des Heiligen Geistes und der Apostel, denen er erschienen war. Auf mittelalterlichen Gemälden wurde der Heilige Geist oft als weiße Taube vor einem grünen Hintergrund dargestellt. Manche Künstler des Mittelalters malten das Kreuz Christi grün, Heilige in grünen Gewändern, grüne Heiligenscheine. Grün – das zeigt die christliche Ikonografie – wird transzendiert zur Wandlungskraft des Heiligen Geistes, zur Unsterblichkeit des Menschen. Das Grün der Unsterblichkeit war auch bei den Azteken bekannt; sie legten ihren Toten einen grünen Stein in den Mund, der die Erneuerungskraft des Lebens symbolisierte. In Ägypten wie im alten China war Grün die Farbe der Wiedererweckung.

Die Psychoanalytikerinnen Aniela Jaffé und Marie-Luise von Franz berichten von einer Vision Carl Gustav Jungs, in der er am Fußende seines Betts einen grünen Christus sieht: „Eines Nachts erwachte ich und sah in helles Licht getaucht den Kruzifixus am Fußende des Bettes. Er erschien nicht ganz in Lebensgröße, war aber sehr deutlich, und ich sah, dass sein Leib aus grünlichem Golde bestand. Es war ein herrlicher Anblick, doch ich erschrak über das Geschaute.“ Jung stößt auf eine Parallele in der Alchemie – das „Grüne Gold“, den edelsten Stein des Mercurius, und er begreift intuitiv, dass sich sein Christus-Bild mit dem des römischen Merkur, das ist der griechische „dreimalgrößte“ Gott Hermes Trismegistos, das ist der ägyptische Gott Thot, der Götterbote, der Überbringer der Weisheiten und des Naturverständnisses, versöhnen will – Logos-Sophia als androgynes Gottbild. In der Alchemie wurden symbolische Lösungsmittel, die Gold auflösen sollten, als „Grüner Löwe" oder „Grüner Drache" bezeichnet. Derartige imaginäre Flüssigkeiten standen am Anfang des „opus magnum“, des großen Werkes zur Herstellung des „Steins der Weisen". Im alchemistischen Prozess galt als erstes Lebenszeichen der Materie die „benedicta viriditas“, die gesegnete Grünheit. Unter dem Bild eines durchscheinenden, grünen Kristalls sahen die Alchemisten auch ein „geheimes Feuer", welches die Lebendigkeit des den Stoffen innewohnenden Geistes verkörperte. Marc Chagall wird Jungs Traum vermutlich nicht gekannt haben, aber er schuf im Jahr 1970 für die Fraumünster-Kirche in Zürich eine Komposition von fünf Fenstern, in deren Mitte er einen grün-goldenen Christus stellte. Auf die Mitte-Position des Grün im Rahmen anderer Farben komme ich noch zurück.

Eine muslimische Farbe

Im Islam ist Grün die Farbe des Propheten Mohammed. Es war seine Lieblingsfarbe und so trug er einen grünen Kaftan und einen grünen Turban. Bis heute ist es nur seinen Nachfolgern, den Kalifen gestattet, einen grünen Turban zu tragen. Das heilige Banner - die kostbarste Reliquie des Islams - ist ein grünes, mit Gold besticktes Tuch. Mohammed soll mit dieser Fahne in den Krieg gezogen sein und mit ihr Mekka erobert haben. In der Vorstellung der Muslime überwiegt im Paradies die Farbe Grün als Sinnbild für blühende Landschaften und ewige Oasen. Heute noch ist Grün die Farbe der arabischen Liga, viele islamische Staaten haben die Farbe in ihrer Flagge. Sie symbolisiert die Einheit im Glauben und den Zusammenhalt der arabischen Völker. Grün ist die lebensspendende Farbe aller Wüstenvölker.

Das Symbol der Farbe Grün in der arabischen Welt ist jedoch noch älter als Mohammed. Der islamische Heilige „al-Chadir", der „grüne Mann", ist eine Mythengestalt, die die Nomaden in der Wüste zum Wasser führt und die Wanderer auf ihrem Weg begleitet. Wesenszüge des Mercurius-Hermes finden wir im Geist al-Chadirs. Nach der Sage soll al-Chadir durch das Reich der Finsternis gewandert sein, bis er zu einem hellen, weißen Felsen kam. Jeder andere Wanderer wurde von diesem Berg hinabgeschleudert, nur al-Chadir konnte hinaufsteigen und erreichte die „Quelle des Lebens“. Nachdem er das kostbare Wasser getrunken hatte, wurde sein Gewand grün, und er erlangte Unsterblichkeit. Al-Chadir, in anderer Schreibweise auch Chidher (arabisch: „der Grüne", gemeint ist: der Sucher, der den Lebensquell gefunden hat, so dass ihm bis zum jüngsten Tage das Leben immer neu „ausgrünt") mögen manche aus dem ersten Gedicht des „West-östlichen Divan“ Goethes kennen, wo sein Name gleich in der ersten Strophe auftaucht: „Soll dich Chisers Quell verjüngen“. Von Rückert stammt ein balladenhaftes Fünfstrophen-Lied über den „Ewigjungen“, der alle Welt in selbstvergessenen Wandlungen kreisen sieht; und alle, denen er begegnet, halten sich für anfangslos existierend und endlos bleibend; er selbst aber, der wahrhaft ewig Lebende, sieht sie alle „vergessend vergehn, verwesend verwehn“. Al-Chadir  oder Chidher kommt in zahlreichen Versionen orientalischer Kulturen und Sprachen vor; so ist die Chidher-Legende dann auch in den Koran, Sure 18, hineingewandert, wo er als „Diener Gottes“ erscheint, der dem Paradiessucher Mose einige Prüfungsaufgaben stellt, die dieser nicht lösen kann. Und auch zur Geburt Jesu sollen die drei Weisen-Priester-Könige aus dem Morgenland aufgebrochen sein, mit Chidher als Sternträger voran. Mich hat diese Mythengestalt zu den Aquarellen inspiriert, die dort auf der Staffelei stehen.

Liebeszauber und Gifttrank

Im Mittelalter und vor allem in der Zeit der Minnesänger war Grün die Farbe der Liebe. Der Held Céladon besingt im Schäferroman „Astrée“ von Honoré d'Urfé auf etwa 5500 Seiten seine Geliebte und trägt dabei ein maigrünes Gewand. In einem Minnelied heißt es: „Grün ist allem meinen Sinn  / Ist der lieb ein anfing. /  Grün soltn allezeit haben wert, / ob dein Herz dir lieb begehrt.“ Der Mythos des „stirb und werde“, des ewigen Lebens, findet im Mittelalter in den Legendenkreisen um Merlin, die Ritter der Tafelrunde, Parzival und um den Heiligen Gral ihre Ausformung. Auch in diesen Mythen, die in der zeitgenössischen Literatur eines Wolfram von Eschenbach oder Chrestien de Troyes niedergeschrieben wurden (und bis in die heutige Zeit wirken), spielt die Symbolfarbe Grün eine entscheidende Rolle. Der Gral wird als Schale aus Smaragd oder grünem Kristall beschrieben, in der Joseph von Arimathia das Blut Christi aufgefangen haben soll. Die Liebe-Opfer-Auferstehungssymbolik wird hier in der grünen Farbe des Kelchs deutlich. Gawan begegnet dem „grünen Ritter“, einer mit der Macht des Todes behafteten Gestalt. Ein grüner Frauenschal verleiht Unsterblichkeit, der Mantel des Gralskönigs ist grün und grün glänzt auch sein Schwert. Die Suche nach dem Gral, die „Quest“, ist eine Herausforderung auf Leben und Tod oder besser: auf Tod und Leben (Goethes „stirb und werde“), denn die Abenteuer sind Initiationen auf einem Weg der Läuterung, der Transformation zum eigenen Selbst.

Grün war im Mittelalter nicht nur die Farbe der Liebe, sondern auch die Farbe der Schlangen und Dämonen. Im alten China besaß der Drache noch eine sehr positive Bedeutung. Er symbolisierte die göttliche Macht, Weisheit und Stärke, Transformation und Transzendenz. Hier steht der Drache mit der Farbe Grün in Verbindung. Das Christentum, das einerseits die Farbe Grün mit Hoffnung und Unsterblichkeit belegt hatte, schuf auch die Polarität: Das positive Symbol des Drachens wurde in ein Ungeheuer verwandelt, das alle bösen und destruktiven Eigenschaften in sich vereinte. Christliche Dämonen waren drachenähnlich und besaßen grüne Hautfarbe und grüne Augen, sie spieen tödliches Gift aus ihren Nüstern und stanken wie die Hölle. Der Heilige Georg (der im 3.-4. Jahrhundert lebte) musste den Drachen besiegen, aber die Drachentöter-Legende kam erst zur Zeit der Kreuzzüge auf. Die Farbe Grün als Symbol für Fruchtbarkeit wurde den christlichen Sittenhütern unangenehm, da sie die Sexualität ohnehin verteufelten. Der Teufel aber trat sozusagen als Seelenfänger in einem grünen Jägerrock über seiner grünen Haut in Erscheinung.

Als das „Schweinfurter Grün" im Jahre 1800 erfunden wurde, bekam die Farbe Grün zusätzlich einen giftigen Beigeschmack. Diese „giftgrüne“ Malfarbe wurde aus Grünspan und Kupferarsenit (auch Scheelesches Grün, Scheeles Grün und Schwedischgrün genannt) gewonnen und war eines der giftigsten Pigmente, die jemals verwendet wurden. Nach dem Aufstrich der Farbe entwickelten sich giftige Arsendämpfe, die auch Napoleon zum Verhängnis wurden. Denn Grün war des Kaisers Lieblingsfarbe und die Räume seines Exils auf St. Helena waren mit dieser grünen Farbe gestrichen. Als französische Chemiker den Leichnam Napoleons analysierten, fanden sie große Mengen Arsen in seinen Haaren und Fingernägeln. Der französische Eroberer war jedoch nicht vergiftet worden, wie man ursprünglich angenommen hatte, sondern starb eines natürlichen Todes an einer schleichenden Vergiftung durch seine Lieblingsfarbe.

Eine heilende Schwingung

Grün kann durch Mischen aus den Farben Blau und Gelb hergestellt werden. Insofern vereint sie das Geistige der Farbe Blau mit der emotionalen Wärme von Gelb. Beides zusammen schafft Wachstum und Weisheit. Die Farbe Grün ist aber auch ein Symbol für Unerfahrenheit („grün hinter den Ohren“ oder „Grünschnabel“). Diese Bedeutung hat ihren Ursprung in den unreifen Früchten, die in der Regel noch grün sind. Obwohl wir wissen, dass Grün eine Mischfarbe ist, zählen wir sie doch zu den Grundfarben. Auch in allen wissenschaftlichen Farbtheorien und Farblehren wird Grün als Primärfarbe anerkannt. Grün ist eine Farbe der Mitte, eine Farbe, die beruhigend und entspannend wirkt (deshalb sind die Operations-Kittel grün). Die Astrologen ordnen Grün den Waage-Geborenen zu, von denen man sagt, dass sie diplomatisch um Ausgeglichenheit bemüht sind. Goethe hat in seinem Farbenkreis zur „Symbolisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens“ der Farbe Grün die Kategorien „Nützlichkeit, Sinnlichkeit und Bürgertum“ zugeordnet. Aufgrund ihrer Naturnähe wirkt die Farbe Grün beruhigend und harmonisierend. Deshalb war sie früher die beliebteste Farbe für den Salon. Der expressionistische Maler Wassily Kandinsky (er lebte von 1866-1944) aber war ein Gegner des bürgerlichen Grüns; die Farbe, meinte er, sei aufgrund ihrer passiven Wirkung ein beschränkendes Element und daher die Farbe der Bourgeoisie. Das Grün sei (ich zitiere) „wie eine dicke, sehr gesunde, unbeweglich liegende Kuh, die nur zum Wiederkäuen fähig mit blöden, stumpfen Augen die Welt betrachtet“ (schrieb Kandinsky 1952). In der grün-weiß-roten Flagge Italiens stehen das Weiß und das Rot für die alten Farben Italiens, während das Grün das Recht des (bürgerlichen) Menschen auf Freiheit und Gleichheit symbolisiert. Die Flagge wurde während der Französischen Revolution von den italienischen Republikanern im Jahre 1795 präsentiert.

Jede Farbe besitzt eine eigene Schwingung. Ich kannte eine Geomantin, die mit der Rute die Schwingungen von Farben ausmuten konnte und mir dies anschaulich demonstrierte. So genannte Synästhesisten können sinnliche Wahrnehmungen verknüpfen (zum Beispiel einen bestimmten Ton hören, wenn sie die Farbe Grün sehen), was mit der Schwingung zusammenhängen könnte. Die Energie einer Farbe kennt jeder von uns: Wir fühlen uns in einem farbigen Raum wohl oder weniger wohl; wir bevorzugen heute eine grüne Kleidung, morgen vielleicht eine andere Farbe. Die positive Heilwirkung der Farbe Grün für Körper und Seele wurde bereits von Hildegard von Bingen (sie lebte etwa von 1098-1179), einer Äbtissin und Ärztin des Mittelalters, erkannt. Sie entwickelte ihre heute wiederentdeckte Heilkunde aus der „Viriditas“, der „Grünkraft“ göttlicher Schöpfung und der Erneuerungskraft des Heiligen Geistes, um Heilung zu ermöglichen, was sie mit Heil gleichsetzte. So empfahl sie zur Stärkung der Sehkraft die Imagination einer grünen Wiese, sie verschrieb den Kontakt mit Blättern und Gräsern in der Morgenfrühe, wo die Pflanzen in ihrer „edelsten und kraftvollsten Grünheit“ stünden: „O Grün des Fingers Gottes, in welchen Gott seine Pflanzung eingesetzt hat.“

Ich möchte diesen Essay über die Farbe Grün mit einem Witz aus dem Judentum beenden:

Der Grün trifft den Blau in Gedanken versunken. „Was überlegst du?“, fragt der Grün. „Ich denke darüber nach, ob der Mensch lebt von innen heraus, oder von außen herein“, sagt der Blau. „Wenn du mich so fragst“, sagt der Grün, „- ja!“

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Wolfgang Ruske©: Transzendenz

Im Universum geht Energie nicht verloren; sie wird jedoch transformiert in andere Seinszustände. Wenn alles aus Energie besteht, wie die Quantenphysiker sagen, so bleibt alles bestehen. Gegebenenfalls in Schwingungsebenen, die dem materialistisch ausgerichteten Menschen nicht mehr erfassbar sind.

Der Quantenphysiker Jean Émile Charon meint herausgefunden zu haben, dass Elektronen die Träger des Bewusstseins sind. Die Erhöhung des Bewusstseinszustands in der „inneren Raumzeit“ durch Spin-Austausch zwischen den Elektronen interpretiert Charon als „Liebe“. Demnach ist Liebe die optimale Methode, um einen höheren Organisationsgrad oder Bewusstseinszustand zu erreichen.

„Nur die Wechselwirkung der Liebe“, sagt der Quantenphysiker Michael König, „führt zu einer Bündelung der Lichtenergie und damit zu einer Erhöhung der inneren Photonenfrequenzen.“

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